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Der Simulationsbus aus Frankreich kann für Übungszwecke gemietet werden. Foto: Agora Formations

Reisebusse können bei Unfällen schnell zur Falle werden: Landet ein Reisebus auf der Seite seiner Türen oder sind diese Ausgänge aus anderen Gründen nicht zu öffnen, ist es für die Insassen schwierig bis unmöglich, das Fahrzeug aus eigener Kraft zu verlassen, wenn sie nicht ausgesprochen sportlich sind. Häufig der einzige Ausweg: eine Luke im Dach. 2019 verunglücken in Deutschland 286 Personen in Reisebussen. 72 sterben. Dem Statistischen Bundesamt zufolge befanden sich mehr als zwei Drittel der Personen, die 2019 bei Straßenverkehrsunfällen in einem Bus zu Schaden kamen, in einem Linienbus, 4,6 Prozent saßen in einem Reisebus.

Beim Reisebus geht Reisekomfort über Sicherheit, sagt Siegfried Brockmann. Der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat in einer Studie untersucht, was die Evakuierung eines Reisebusses so schwierig macht. Das Ergebnis: Die Rettungswege sind unzulänglich.

„Vor allem, wenn nicht auf Hilfe durch Rettungskräfte gewartet werden kann, beispielsweise bei Brand oder Rauchentwicklung, sitzen die Menschen dann in der Falle“, sagte Siegfried Brockmann. „Auch, wenn solche Ereignisse selten sind, müssen Gesetzgeber und Bushersteller jetzt umgehend handeln und die Erkenntnisse der Studie umsetzen.“

Die Untersuchung hat durch Probandenversuche, Befragungen und technische Analysen Defizite aufgezeigt und Optimierungsmöglichkeiten ermittelt: Zunächst müsse für die Evakuierungszeit durch die Türen eine verbindliche Vorgabe gemacht werden, wie sie für Flugzeug, Bahn und Schiff selbstverständlich sei. Sobald der Bus schräg liege und die Türen blockiert seien, werde es allerdings problematisch. Dann könnten ohne turnerische Qualitäten weder die Seitenscheiben noch die Dachluken genutzt werden. Die Frontscheibe steht bisher nicht zur Verfügung, weil sie aus Verbundglas besteht und nicht mit einem Hammer zerschlagen werden kann. Der Notausstieg über das Heckfenster wird mitunter durch Sonderanbauten wie Ski- oder Fahrradträger versperrt. Auch erwiesen sich das Abschnallen und die Fortbewegung im Bus unter diesen Umständen als ausgesprochen schwierig.

Konkret schlägt die UDV vor, die bei vielen Herstellern bereits optional verfügbaren und aus dem Pkw bekannten Dreipunktgurte statt der kostengünstigeren Zweipunktgurte zu installieren, die Gangbreite zu vergrößern, Lichtleisten zu den nächstgelegenen Notausstiegen zu aktivieren und die Dachluken quer statt längs einzubauen. Auch dürfe die Heckscheibe niemals von außen versperrt sein. Die wichtigste konstruktive Maßnahme für beinahe alle erdenklichen Endlagen des Busses nach einem Unfall sei aber, so Brockmann, dass sich die Frontscheibe für den Ausstieg von innen entfernen lässt. Dies könne durch einen Druckschlauch oder eine Sprengschnur entlang der Klebenaht geschehen. Auch ältere und unsportliche Insassen könnten auf diesem Weg den Bus gut verlassen.

Die Studie fordert verbindliche Vorgaben zur Evakuierungszeit durch die Türen: Anders als etwa bei Flugzeugen – hier innerhalb von 90 Sekunden evakuiert sein – gibt es noch keine gesetzliche Anforderung für Reisebusse. Drei Sekunden pro Passagier hält die Studie für angemessen. Der UDV schlägt für eine schnelle Evakuierung vor, ähnlich wie in einem Flugzeug Lichtleisten zu den nächstgelegenen Notausstiegen zu aktivieren. Zudem müssen die Gänge breiter sein als bislang üblich, um eine zügige Räumung zu ermöglichen.

Üben könnte man mit einem Simulationsbus aus Frankreich, rund tausend Busfahrer werden so jährlich für den Ernstfall geschult. Der Simulationsbus ist europaweit im Einsatz. Ein Schulungstag kostet ab 2000 Euro aufwärts. Mit Sicherheit eine Investition, die im Ernstfall vielleicht Leben rettet. (UDV/Agora/PM/Sr)

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